Jannis Frech | Autor - Journalist - Sprecher

Empörungsroutine im virtuellen Obdachlosenmilieu

In Journalismus on 8. Februar 2010 at 23:10

„Willst du etwa, dass einer zu dir Penner sagt?“ Beim Hamburger Obdachlosenmagazin Hinz&Kunzt ist man sich uneinig. Das Browserspiel ‚Pennergame’ steht zur Diskussion. Birgit Müller, Chefredakteurin des Blattes, diskutiert mit Verkäufer Gerrit über das Thema. Müller findet das Spiel „diffamierend“, Gerrit findet es „klasse“. Sie stehen dabei stellvertretend für eine Debatte, in der das Spiel ebenso geliebt wie hart kritisiert wird. Fast eine Millionen registrierte Spieler hat das Pennergame inzwischen erreicht, außerdem ein Verfahren der Kommission für Jugendmedienschutz.

Aus Freizeitspaß wird Ganztagsjob

Dabei hatte das Spiel ursprünglich ein einfaches Ziel: Der Freundeskreis sollte unterhalten werden. „Wir fanden andere Spiele langweilig“, sagt Marius Follert, einer der beiden erst 20-jähringen Väter des Spiels. Flaschensammler auf dem Hamburger Kiez dienten als Inspiration. Als sich der Erfolg von Pennergame abzeichnete brachen die Erfinder Schule und Ausbildung ab. Nun kämpfen sie mit einer Masse von 50.000 gleichzeitig spielenden Usern und den damit überlasteten Servern. Ursache für den Erfolg ist dabei auch die häufige Präsenz in den Nachrichten. Die immer größeren Spitzenzeiten würden „vor allem auch durch die Medienberichterstattung erreicht“. Das Spiel wird inzwischen von Geldgebern unterstützt, die in die eigens gegründete Firma ‚Farbflut Entertainment’ investieren. Sitz des Unternehmens ist der Keller eines schmucken Hamburger Stadthauses, die ersten Mitarbeiter sind schon eingestellt.

Vom Hauptbahnhof zur Elbchaussee

Das Grundprinzip des Spiels ist dabei simpel: „Du bist ein untalentierter Penner am Hamburger Hauptbahnhof und kannst weder Lesen noch Schreiben. Doch du hast das Ziel endlich Reich zu werden.“ Ein klassisches Karriereprinzip also. Dabei führen verschiedene Wege zum Ziel: Vom einfachen Pfandflaschensammeln übers Schnorren und kleinere Einbrüche, bis hin zu Kämpfen mit anderen Spielern. Das Spiel verarbeitet gängige Klischees über Obdachlose und treibt sie auf die Spitze: Effektiv arbeitet der virtuelle Obdachlose vor allem wenn er betrunken ist, höhere Spenden bekommt er durch Körperhygiene in der Waschanlage. Und organisiert wird sich in Banden.

Realitätsferne oder reale Beleidigung

„Ein Realitätsbezug ist schwer nachvollziehbar“, sagen die Entwickler. „Das Spiel verletzt die Würde von Menschen“, sagt Ksenija Bekeris und „ich finde es schockierend“. Die Hamburger SPD-Politikerin fordert deshalb ein Verbot des Spiels. Gerade der fehlende Realitätsbezug sei dabei das Problem, sagt sie. Für ihre Kritik muss Bekeris einiges aushalten: „Die hat ganz üble Mails bekommen, wo du denkst, das Niveau ist so unterirdisch“, so Hinz&Kunzt-Chefin Müller. „Die User wenden sich gezielt an die kritischen Beiträge und kommentieren da“, heißt es distanziert bei Farbflut Entertainment. Wohl wahr, allerdings scheint der Ton dabei oft fraglich und wirft deshalb ein schlechtes Licht auf die Pennergame-User. „Ich möchte mir nicht anmaßen alle Spieler über einen Kamm zu scheren“ sagt zwar Ksenija Bekeris selbst, doch der Musiker Heinz Ratz, der sich selber für Obdachlose engagiert, wird deutlicher: „Da wird doch bei den Meisten das politische Bewusstsein ausgeschaltet.“

Jugendschutz und Moral

Zwischen 14 und 20 Jahren liegt das Alter der Zielgruppe des Pennergames und ist damit möglicherweise ein Fall für den Jugendschutz. „Eine Gefährdung der Jugend liegt auf keinen Fall vor“, meint zwar Heiko Hubertz, Geschäftsführer des Spielanbieters Bigpoint. Es gehöre doch „durchaus zur Medienmoderne dazu, dass es etwas schärfer zur Sache geht“, sagt auch der Pädagoge Ralf Kellershohn. Trotzdem hat sich die zuständige Medienanstalt in Hamburg mit dem Spiel beschäftigt: „Anfang September wurde das Angebot im Rahmen der laufenden Recherche festgestellt und anschließend eingehend untersucht“, teilt Dr. Thomas Voß, Bereichsleiter Programm und Medienkompetenz der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, auf Nachfrage mit. Ein grundsätzlicher Verstoß gegen den Jugendschutz sei zwar nicht festzustellen, das Spiel „könnte aber geeignet sein, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sozialethisch zu desorientieren.“ Der Fall liegt deshalb nun in den Händen der letztlich zuständigen Kommission für Jugendmedienschutz.

Spenden gegen die Kritik

Man habe Kontakt mit der Medienanstalt, heißt es bei Farbflut dazu knapp. Die Verteidigungstaktik des Unternehmens ist so offensiv wie professionell.  „Nichts zu sagen bringt auch nichts“, sagt Follert und betont, man habe bereits über 4.000 € an das Hamburger Spendenparlament überwiesen, wenn auch anonym. Zudem wurden Ebay-Auktionen mit Spieldevotionalien zum Wohle der Tafel „Mahlzeit in Altona“ durchgeführt, ein Sammeltopf für zukünftige Spenden sei ebenfalls eingerichtet worden. „Das hat schon etwas von Ablasshandel“, sagt Ksenija Bekeris dazu. Sie spricht außerdem von nur 1.500 nachvollziehbar gespendeten Euro.

Alles nur Ablenkung?

„Letztendlich sind wir vor allem ein Spiel“, sagt Marius Follert. Man könne aber zur Aufklärung beitragen, indem man Querverweise einbaue. „Ich würde in neun Monaten noch mal nachfragen, wenn sich die Empörung gelegt hat“, rät dazu Ralf Kellershohn. Für ihn ist die Diskussion ums Pennergame vor allem „Empörungsroutine“. Birgit Müller ist diese Empörung jedoch wichtig. Vor allem die im Spiel vorhandene Verbindung von Obdachlosigkeit und Kriminalität kursiere eigentlich schon „lange nicht mehr als Vorurteil“ und sei deshalb höchst bedenklich. Gespräche zwischen den Parteien waren bisher ergebnislos, man sei sich nur einig, auf verschiedenen Seiten zu stehen, sagt sie. Ein wenig mehr inhaltliches Entgegenkommen wäre wohl tatsächlich wünschenswert. Doch bis dahin bleibt Gerrit pragmatisch: „Ich bin ein arbeitsloser kleiner Penner und vielleicht habe ich in einem Jahr ein Schloss auf Blankenese. Und wenn nicht, bin ich halt wieder ein kleiner armer Penner.“

(Im Original vom 12. Dezember 2008)

Mehr dazu: Viel Aufregung – wenig Maßstab

  1. […] Aufregung – wenig Maßstab In Journalismus on 8. Februar 2010 at 22:53 Ein Spiel in der Kritik: Auf die Spitze getriebene Obdachlosenklischees unterhalten im Pennergame. Die Menschenwürde ist […]

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